Polarimpressionen 2024 beim Pfeddersheimer Weinorden
Sommer in der Arktis – Ein heißes Thema
Polareisforscher Prof. Dr. Rolf Gradinger referiert beim Weinorden
Pfeddersheim.
Von Peter Behringer
Der Vorsitzende des Pfeddersheimer Weinordens, Werner Gradinger, konnte im voll besetzten Sängerheim mit einem herzlichen Vivat Paterna – Vivat Vinum über 180 Gäste, unter ihnen seinen Vorgänger Günter Bleise, den Vorsitzenden des Gesangvereins Bernhard Steinke mit dessen Team und selbstverständlich seinen Bruder, den Meeresbiologen und Polareisforscher Prof. Dr. Rolf Gradinger, begrüßen.
Der Referent ist Autor verschiedener Polareispublikationen, lebt heute in Tromsö (Norwegen) und ist an der dortigen Universität als Professor tätig. Er war Organisator und Teilnehmer an verschiedenen Polarexpeditionen u. a. auf dem deutschen Forschungsschiff „Polarstern 1“.
Werner Gradinger dankte schon jetzt dem „Pedderschmer Ice-Man“ für dessen sich mittlerweile im Kultstatus befindlichen alljährlichen Vorträge über das Thema Arktis und seinen Forschungen im Polarmeer.
Nach einigen Infos über den Ablauf der Veranstaltung konnten die Gäste die Reise in die wunderbare Welt des „Ewigen Eises“ antreten.
Die Stadt Tromsö liegt im Norden Norwegens, nördlich des Polarkreises und ist einer der besten Orte, um das spektakuläre Nordlicht zu beobachten. Mit ihren mehr als 70.000 Einwohnern ist sie die Metropole des Nordens schlechthin, zahlenmäßig nur noch vom russischen Murmansk übertroffen.
Tromsö wird auch das „Tor zum Eismeer‘ und die „Stadt der Nordlichter“ genannt. Seit 1874 ist die Stadt Ausgangspunkt von Nordmeer- und Polarexpeditionen, speziell zum Nordpol, unter anderem geleitet von Roald Amundsen und Fridtjof Nansen.
Prof. Dr. Gradinger nennt die Arktis eine Region der Gegensätze. Von Mitte November bis Mitte Januar, also in den Wochen um die Wintersonnenwende, ist von der Sonne wirklich überhaupt nichts zu sehen, also eine echte Polarnacht. Noch bis Ende März ist es weitgehend dunkel. Durchschnittstemperaturen in der Polarnacht betragen ca. minus 35 Grad, in manchen Gebieten wie z.B. in Nordostsibirien kann aber auch unter minus 70 Grad gemessen werden. Man kann sich also vorstellen, dass die Menschen, wie auch die Natur, Wärme und Licht herbeisehnen. Die Rückkehr von Licht und frischer Energie geschieht dann aber auch sehr plötzlich.
Von Ende April bis Ende August steht nun die Sonne 24 Stunden täglich am Himmel. Das bedeutet, dass die Einheimischen im Sommer etwas mehr als vier Monate lang fast ohne Unterbrechung Sonnenlicht genießen können. Von Juni bis Juli/August werden nun über 20 Grad gemessen. Die Vorstellung, dass es in der Arktis immer sehr kalt sei, ist nicht richtig. Der Kälterekord im arktischen Sibirien beträgt minus 78 Grad, der Wärmerekord aber 38 Grad!
Den Pflanzen steht nur eine sehr kurze Vegetationsperiode zur Verfügung. Aber in kurzer Zeit verwandelt sich dann die sonst eher karge Landschaft in ein buntes Blumenmeer. Mehr als 400 Arten arktischer Blütenpflanzen gibt es. Wegen des Permafrostbodens können in den Polarregionen nur Pflanzen wachsen, die keine tiefen Wurzeln bilden und Staunässe vertragen. Denn Wasser kann darin nicht absickern und der Boden saugt sich voll wie ein Schwamm.
Vor allem niedrig wachsende Sträucher, Kräuter, Gräser, Flechten und Moose, arktischer Mohn und Sonnentau kommen mit solchen Bedingungen klar. Sie liefern die Hauptnahrungsgrundlage für Moschusochsen und Rentiere, die sich in der Tundra für den Winter eine dicke Speckschicht anfressen müssen. Es gibt allein 900 Moos – und 1700 Flechtenarten. Nach 4 bis 5-monatigem Winterschlaf wachen jetzt Eis- und Braunbären auf und suchen nach Futter.
Aber was tut sich in dieser Zeit im Meer? Der Referent erläutert dem staunenden Publikum, dass sich nun in wenigen Wochen pro 1 m³ Wasser über 80 Millionen Mikroorganismen wie z.B. Mikroalgen bilden. Der Sauerstoff eines jeden 2. Atemzugs aller Menschen wird von Meeresalgen produziert. Grauwale wandern jetzt aus ihren winterlichen Regionen (Golf von Mexiko) zum Fressen in das arktische Meer. Die Krebse, die bis in 1000 m Tiefe im Meer überwintert haben, steigen jetzt auf und fressen am Eis, das jetzt mit Mikroalgen gefüllt ist. Das Wachstum der Algen und aller anderen Tiere ist miteinander gekoppelt. Zu sehen waren Bilder von Larven der Seeanemonen, Metaphormosen von Schnecken und Seesternen und vieles mehr.
Auch sehr viele Arten von Zugvögeln, See und Landvögel, kommen jetzt an, um ihre Brutzeit anzutreten. Hervorzuheben sind die Küstenseeschwalben mit dem längsten Zugweg. Diese Vögel legen auf ihrem Zug von den arktischen Brutplätzen in die antarktischen Überwinterungsgebiete und retour eine Strecke von bis zu 30.000 km zurück – fast einmal um die Erde. Ein mit Sensoren ausgestattetes Tier legte innerhalb von 10 Monaten einen Weg von 96.000 km zurück.
Die Teilnehmenden sahen Bilder von der sommerlichen arktischen Gartensaison mit Kohl, Kartoffeln und Möhren. Auch das Anpflanzen von Tomaten ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Überall gedeihen jetzt Unmengen von Himbeeren, Blau – und Moltebeeren, aus denen in den arktischen Ländern Moltebeerschnaps hergestellt wird.
Der Sommer ist eine intensive Zeit der Forschung. Der Referent zeigte Bilder von Miniseglern, Segelschiffe mit Solarpaneels, die im Wind driften. Deren wissenschaftliche Besatzungen fangen Meerestiere und Krabben. Diese werden in mühevoller Handarbeit gemessen und gewogen, um die Auswirkungen des Klimawandels exakt belegen zu können.
Die Arktis erwärmt sich nämlich viel weiter und schneller als die gesamte Erde. Welche Gründe gibt es dafür? Eis reflektiert mehr und absorbiert weniger Sonnenlicht als Land oder die Oberfläche eines Ozeans. Wenn Eis schmilzt, gibt es normalerweise dunklere Land- oder Meeresbereiche frei, was zu einer erhöhten Absorption des Sonnenlichts und einer damit verbundenen Erwärmung führt. Ein schlimmer Kreislauf! Der Verlust von Meereis betrug von 1979 bis heute 14 bis 15 Millionen km². Besorgniserregend ist auch das Verschwinden des „alten Eises“.
Während neueres Eis im Sommer wieder schmilzt, würden die älteren Eismassen normalerweise nie ganz auftauen. Verlieren wir das alte Eis, wird ein komplett eisfreier Sommer in der Arktis immer wahrscheinlicher. Die Artenvielfalt nimmt rapide ab, wie soll ein Eisbär ohne seine „Eisplattform“ auf Robbenjagd gehen? Aber auch Mikroplastik ist ein Problem in dieser Region. Es wurden in 1 m³ Meereis schon 12 Millionen Plastikteilchen gefunden.
Der Referent beendete seinen Vortrag und freute sich sichtlich über die Reaktion des Publikums und den Applaus, aber auch über den von Werner Gradinger überreichten Gutschein einer Pfeddersheimer Eisdiele sowie ein T-Shirt „Pfeddersheimer Markt.“
Abschließende Dankesworte richtete Werner Gradinger an alle Protagonisten, die zum Gelingen dieses Events beigetragen hatten.